In dem seit dem EU-Beitritt Ungarns verstrichenen Zeitraum ist es noch nicht gelungen, ein eindeutiges Regelungssystem bezüglich des Nachweises für die innergemeinschaftlichen umsatzsteuerfreien Lieferungen zu schaffen. Der Einsatz ist hoch, denn Unternehmen, die nicht ausreichend belegen können, dass eine Ware das ungarische Staatsgebiet verlassen hat, sind einem großen umsatzsteuerlichen Risiko ausgesetzt. Es lohnt sich daher zu prüfen, wie in Deutschland, einem der alten EU-Mitgliedsstaaten, dieses wichtige Steuerrisiko geregelt ist, und ob man uns dort in diesem Bereich wirklich voraus ist.
Ungarische Rechtssachen
Vor der Betrachtung der deutschen Vorschriften sollten wir uns kurz an die in einem vom Europäischen Gerichtshof gefassten Urteil mit Ungarnbezug festgehaltene Argumentation der ungarischen Behörde erinnern. Gemäß der vom ungarischen Finanzamt in der Causa C-273/11 (Mecsek-Gabona) vertretenen Position hätte der ungarische Lieferant über ein Dokument verfügen müssen, das nachweist, dass die Waren versendet und in einen anderen EU-Mitgliedsstaat geliefert wurden. Da die Gesellschaft im Steuerrevisionsverfahren kein solches Dokument vorlegen konnte (und weil die von ihr vorgelegten Schriftstücke nicht als glaubwürdig betrachtet wurden), hätte sie die Mehrwertsteuer für den das Grundgeschäft darstellenden Verkauf bezahlen müssen, außer wenn sie in dem vorliegenden Geschäft im guten Glauben vorgegangen wäre. Nach Auffassung des Finanzamts hätte sich die Gesellschaft nicht nur davon überzeugen müssen, dass die Ware versendet wurde, sondern auch davon, dass sie am Bestimmungsort angekommen ist.
Ungarische Urteilspraxis
Den gleichen Gedankengang finden wir in der Urteilspraxis des Obersten Gerichtshofs in Ungarn, der in einem Urteil herausstrich, dass das Vorliegen einer Frachturkunde an sich nur den Umstand belegt, dass der Frachtführer die Ware vom Versender entgegennahm. Der Frachtbrief oder eine andere Bestätigung muss daher unter Berücksichtigung der gesamten Umstände geeignet sein, auf zweifelsfreie Art die Lieferung der Gegenstände und deren Ankunft in einem anderen Mitgliedstaat nachzuweisen. Aufgrund dieser Argumente ist die liefernde Gesellschaft im konkreten Fall nicht mit der erforderlichen Umsicht vorgegangen, als sie mehrere hundert Tonnen Getreide versendete, ohne sich dabei über die Umstände der Produktlieferung nicht wenigstens durch eine Kontrolle des tatsächlichen Ausführenden des Transports oder durch eine Prüfung der Glaubwürdigkeit des CMR-Frachtbriefs zu vergewissern.
Anforderungen in der EU
Da in der EU-Richtlinie 112/2006 keine einzige Bestimmung vorschreibt, welche Beweise die Steuerpflichtigen erbringen müssen, um die Steuerfreiheit in Anspruch zu nehmen, geht auch aus der ständigen Urteilspraxis des Europäischen Gerichtshofs hervor, dass die Mitgliedstaaten die Bedingungen für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen definieren müssen, um eine richtige und einfache Anwendung dieser Steuerfreiheit garantieren zu können und gegebenenfalls Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Missbrauch vorzubeugen.
In der bereits in der Einleitung erwähnten Rechtssache Mecsek-Gabona gab die ungarische Regierung bei der Gerichtsverhandlung die Erklärung ab, dass die Rechtslage in Ungarn nur den Nachweis der Lieferung vorschreibt und dass die im Einzelfall geforderten Beweise von den konkreten Umständen des betreffenden Geschäfts abhängen. Den einzigen Anhaltspunkt dafür, welche Ausfuhrbestätigung das Finanzamt im Rahmen einer Revision sehen möchte, bietet die zwar ziemlich alte, aber immerhin ausführliche Steuerfrage Nummer 2007/41.
Die deutschen Regelungen
Ähnliche Ungewissheiten finden sich auch in den deutschen Rechtsvorschriften. Eine am 1. Januar 2012 in Kraft getretene Änderung der Durchführungsverordnung zum deutschen Umsatzsteuergesetz führte im Zusammenhang mit dem Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferungen neue Regelungen ein. Wenn ein deutscher Umsatzsteuerpflichtiger eine innergemeinschaftliche Leistung steuerfrei behandeln möchte, muss er dafür über einen vom Kunden ausgestellten (unterzeichneten) speziellen Beleg, die sogenannte Gelangensbestätigung, verfügen.
Die neue Bestimmung warf zahlreiche Fragen auf, und im Hinblick auf die mit dem speziellen Beleg verbundenen administrativen Lasten löste sie bei den Wirtschaftstreibenden riesige Empörung aus. Auf Druck der Wirtschaftskammern setzte das deutsche Finanzministerium immer neue Fristen, vor deren Ablauf die den bisherigen Regelungen entsprechenden Belege für innergemeinschaftliche Lieferungen nicht beanstandet werden konnten. Laut aktuellen Plänen wird ab dem 1. Juli 2013 eine neue Regelung in Kraft treten, die auch gewisse Erleichterungen vorsieht. Demnach wird die Gelangensbestätigung nicht der einzige zulässige Nachweis sein, sondern das Finanzamt soll auch andere bestätigende Dokumente akzeptieren. Zusammengefasst zeigt der Blick nach Deutschland, dass es auch für die Behörden eines seit langem im Gemeinschaftssystem „aktiven“ Mitgliedstaats nicht einfach ist, den goldenen Mittelweg zu finden, um nämlich auch bereits den bloßen Gedanken an Steuerhinterziehung auszuschließen, andererseits aber den Betrieb der Unternehmen nicht durch administrative Hürden einzuschränken.
Zu beherzigende Maßnahmen
Den ungarischen Unternehmen wird also wärmstens empfohlen, ein internes Administrationssystem auszuarbeiten, das im Rahmen von Betriebsprüfungen überzeugend und eindeutig zeigt, dass die Unternehmung vor der Ausstellung einer steuerfreien Rechnung mit der erforderlichen Umsicht und im guten Glauben vorgegangen ist. Erfahrungen zeigen, dass sich die Unternehmen bei der Unterzeichnung des Prüfungsauftrags des Finanzamts umso wohler fühlen können, je mehr Sicherheiten sie in ihre Verkaufsprozesse eingebaut haben. Zu diesen Sicherheiten kann unter anderen der auch vom Kunden abgestempelte, lesbare CMR-Frachtbrief zählen, der sowohl auf das Kennzeichen des Transportmittels als auch auf die den Waren beiliegende Rechnung Bezug nimmt. Neben der gründlichen Identifizierung des Kunden und der in Vertretung des Kunden vorgehenden Person noch vor dem ersten Vertragsabschluss und neben der Kontrolle der EU-Steuernummer des Kunden lohnt es sich, in den Verträgen jene Fälle zu regeln, in denen der Kunde dem Lieferanten nicht ein dem CMR-Frachtbrief entsprechendes Exemplar der Urkunde zurückschickt.